Auf der Suche nach Büchern, die das Leben als Ingenieur beschreiben, bin ich auf Max Eyth gestossen. https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/eyth.html.
Sein Buch „Hinter Pflug und Schraubstock“ scheint eines der wenigen Werke aus der Frühzeit der Ingenieurskunst zu sein. Nach seinen aktiven Jahren im Berufsleben, zog sich Max Eyth zurück und hielt seine Erfahrungen und Ideen als Schriftsteller fest. Und was er schildert, ist hochspannend und vor allem auch gut und verständlich geschrieben. Seine goldenen Jahre hatte er zwischen 1860 und 1880. Was geschah in dieser Zeit?
Die Entwicklung der Dampfmaschinen
James Watt patentierte 1769 eine brauchbare Dampfmaschine. Geschichte der Dampfmaschine Er wird fälschlicherweise als Erfinder dargestellt wie der Wikipedia Artikel darstellt. Aber er verbesserte die Konstruktion so, dass sie wirklich funktionierte. Speziell die Erfindung des Fliehkraftreglers war genial. 1814 baute Stephenson seine Lokomotive. Das Eisenbahnnetz begann zu wachsen. 1847 wurde die erste Eisenbahnlinie in der Schweiz eröffnet, die Spanisch-Brötli-Bahn, die heute noch im Verkehrshaus zu bewundern ist.
Parallel wurden sogenannte Lokomobile gebaut, vor allem für die Landwirtschaft. Dabei handelt es sich um Dampfmaschinen auf Rädern, damit sie einfacher verschoben werden konnten. Eigentliche Automobile waren es noch nicht. Die Dampfkraft dieser Lokomobile wurde zum Antrieb verschiedener Gerätschaften in der Landwirtschaft gebraucht.
In dieser Zeit, so ab 1840, wurden in Europa immer mehr Polytechnische Schulen nach dem Vorbild der Pariser École Polytechnique gegründet. Unter anderem die ETH in Zürich im Jahre 1855.
Max Eyth studierte in der 1829 gegründeten Vereinigten Kunst-, Real- und Gewerbeschule in Stuttgart und schloss 1856 ab. Er beklagt sich in seinen Büchern, dass er zu viel Latein und zu wenig Technik vorgesetzt bekam. Eine Klage die auch heute nicht unbekannt ist.
Arbeitssuche in England
Er wollte unbedingt im Lande der Dampfmaschine, in England, arbeiten. Aber die Schulen vom Festland waren in England überhaupt nicht anerkannt (Auch ein Problem das wir noch heute kennen). Im Kapitel „In der Grünheustrasse“ schildert er sehr amüsant die Arbeitssuche von 3 Deutschen in England. Schliesslich fand er bei John Fowler in Leeds eine Anstellung. Dort entwickelte er eine brauchbare Seilwickelvorrichtung für den Fowlerschen Dampfpflug.
Dampfpflüge waren eine interessante Entwicklung und Anwendung der Dampfmaschine.
Nach dem Fowlerschen Prinzip bewegen sich zwei Dampfpflüge je seitlich am Feld synchron in Schritten vorwärts. Mit Hilfe des Seilzuges unter der Lokomobile wird der passive Pflug hin und her gezogen. Er wird von einem Pflüger gelenkt. Das Gewicht des Pflügers drückt den Pflug in die Erde. Ein Bild der Eyth’schen Seilwind sieht man hier
Es gab auch ein anderes Prinzip mit nur einer Lokomobile, Seilzügen und Umlenkrollen. Das war der Howard’sche Dampfpflug. Die Umlenkrollen mussten während der Arbeit versetzt werden.
Eine Darstellung der beiden Systeme ist in diesem Ausschnitt des Meyer’schen Konversationslexikon zu finden: https://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=103829&imageview=true.
Der Amerikanische Bürgerkrieg und die Baumwollkrise
Und hier beginnt die Geschichte von Max Eyth interessant zu werden. 1861 bis 1865 tobte nämlich der amerikanische Bürgerkrieg. Wegen der Kriegswirren und der anschliessenden Sklavenbefreiung in den Südstaaten, kam der Baumwollhandel aus Amerika zum Erliegen. Da die Baumwolle in England vor allem in Lancashire verarbeitet wurde, kam dort die Baumwollproduktion zum Erliegen. Es folgte eine schwere Krise mit Hungersnot (Lancashire cotton famine) unter den Baumwollarbeitern.
Auf der Suche nach Ersatzstandorten für den Baumwollanbau, kam man auf Ägypten und das Nildelta, das sich vom Klima und vom Boden her gut eignete. Da mit dem Vizekönig Muhammad Ali Pascha und seinen Nachkommen in Ägypten prowestliche Herrscher das Sagen hatten, kam Max Eyth als Oberingenieur zu einem der Söhne, Said Halim Pascha. Dieser hatte an der Pariser École Polytechnique studiert und war Technikbegeistert. Er sah die Chance mit dem Baumwollanbau in Ägypten und kaufte Fowler’sche Dampfpflüge. Und zum Betrieb brauchte er einen erfahrenen Ingenieur.
Max Eyth schildert in seinen Büchern sehr schön, wie er als junger Ingenieur mit den Tücken des steinhart getrockneten Nilschlamms kämpft. Wie er sich das Vertrauen der ihn unterstützenden Fellachen erarbeitet und sie zu Heizern, Maschinisten und Pflügern ausbildet. Er schildert auch sehr lustig, wie ein übereifriger Vertreter von Howard, der Konkurrenz, ihm versucht das Geschäft abzuluchsen. Das Ganze endet dann in einem Wettpflügen, bis die Dampfkessel – Überdruckventile abblasen.
In New Orleans
Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges stockt der Anbau von Baumwolle im Mississippidelta weiterhin, weil nun die Arbeiter fehlen. Fowler sieht seine Chance und entsendet Max Eyth nach New Orleans, inklusive einem Dampfpflug mit zwei Lokomobilen. Doch nach dem Bürgerkrieg kämpfen die Nord- und Südstaatler immer noch gegeneinander, einfach ohne Waffen. Die siegreichen Nordstaaten, wo die Regierung sitzt, machen den Südstaatlern das Leben schwer. Da sie immer noch Ressentiments gegen den alten Kolonialherrn England haben, erheben sie kurzerhand eine 30% Einfuhrsteuer auf Dampfpflüge.
Max Eyth schildert nun sehr lustig seinen Kampf gegen die Steuer und wie er allein auf weiter Flur auch in New Orleans die schwarzen Hafenarbeiter zu Dampfpflügern umschult. Wie er gegen die Verleumdungen der nordamerikanisch kontrollierten Zeitung kämpft. Am Schluss überreden ihn seine Mittelsmänner, ein Wettrennen zwischen seinen zwei identischen Lokomobilen zu veranstalten, um die Amerikaner von den Vorzügen dieser englischen Erfindung zu überzeugen. Die eine wird vom inzwischen eingetroffenen englischen Maschinisten gesteuert, die andere von einem amerikanischen Ingenieur, der sich Max Eyth angeschlossen hat. Nach Abrede sollte der amerikanische Dampfpflug gewinnen. Das passiert dann auch, aber eher aus Zufall, weil der „englische“ sich kurz vor dem Ziel in den weichen Boden des Mississippideltas eingräbt.
Max Eyth schildert diese Begebenheit sehr treffend. Vor allem seine Schilderung der ideologischen Kämpfe zwischen Nord- und Südstaatlern (Heute Republikaner gegen Demokraten), der Korruption in Washington (wegen der Einfuhrsteuer), der Lügenpresse, des Überlegenheitsgefühls und der Ignoranz der Amerikaner gegenüber dem Rest der Welt, ist sehr amüsant. Man kann viele Parallelen von 1866 zu Heute ziehen. Schon deshalb ist das Buch „Hinter Pflug und Schraubstock“ lesenswert.
Max Eyth’s Erlebnisse aus heutiger Sicht
Auch seine Schilderung des Ingenieurlebens ist hochaktuell. Sein Lebenslauf zeigt, dass man als Ingenieur nicht einfach hinter dem Computer sitzen und technische Probleme bearbeiten kann. Man muss die Probleme im Feld lösen, muss Andere motivieren mitzumachen. Man muss die Menschen von seinem Produkt überzeugen und man muss ab und zu etwas übertreiben, an seine Sache glauben und auf sein Glück vertrauen, auch wenn man selber kaum mehr daran glaubt.
Man kann vielleicht sagen, dass Max Eyth zum Verkäufer geworden war. Er musste immer wieder seine ganze Erfahrung als Ingenieur einsetzen, um seine Maschinen am Laufen zu halten, so wie das gute Verkäufer eben machen. Und rein schon wegen dem Gewicht dieser Lokomobile, musste er andere Leute motivieren ihm zu helfen, zum Beispiel den eingegrabenen Dampfpflug wieder aus dem Schlamm zu heben.
Ein Ingenieurleben
Für mich als moderner Leser und Ingenieur war es hochinteressant zu lesen, dass vor 150 Jahren die Schwierigkeiten und die zu lösenden Probleme sehr ähnlich waren wie heute. Nur die Mittel haben sich geändert. Auch die Fähigkeiten die man als Ingenieur brauchte, waren sehr ähnlich.
Es ist nicht so, dass ich Max Eyth als Vorbild betrachte, so wie heute gewisse Leute wie Bill Gates, Steve Jobs oder Elon Musk als Vorbilder hochgejubelt werden. Aber er war ein Mann, der seine Aufgabe wahrnahm, für seine Ideale kämpfte und sich als ganzer Mensch für seine Sache einsetzte.
Darüber, dass das nicht immer gelingt, habe ich im Beitrag https://levolta.ch/2024/woher-kommen-die-zuendenden-ideen/ berichtet. Es geht um die Erfindung des Dreiphasensynchrongenerators/Motors und wie es Friedrich August Haselwander ergangen ist.
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