Oder die Erfindung des Drehstroms
Mich haben nach den letzten Blogbeiträgen folgende Fragen beschäftigt:
- Woher kommen die zündenden Ideen?
- Gibt es die Erleuchtung aus dem Nichts?
- oder Glück und Pech im Ingenieursleben
Tesla’s Vision
Ungefähr 1882 hatte Nikola Tesla eine Eingebung.
„Die entscheidende Idee für die Verbesserung des Gleichstromgenerators kommt Tesla bei einem abendlichen Spaziergang mit seinem Freund Antal Szigeti im Budapester Stadtpark. Während er der untergehenden Sonne zusieht, fällt ihm eine Passage aus Goethes Faust ein: „Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt, dort eilt sie hin und fördert neues Leben.“ Zitat: <https://www.scinexx.de/dossierartikel/rotierende-felder/>
In seinen eigenen Worten im Buch „My inventions“: „As I uttered these inspiring words the idea came like a flash of lightning and in an instant the truth was revealed. I drew with a stick on the sand the diagram shown six years later in my address before the American Institute of Electrical Engineers. The images I saw were wonderfully sharp and clear and had the solidity of metal and stone, so much so that I told him: ‚See my motor here; watch me reverse it.’“
Diese Geschichte wird in vielen verschiedenen Versionen erzählt. Der oben zitierte Artikel schildert aber sehr schön, dass sich Tesla zuerst mit dem Gleichstromgenerator von Zénobe Gramme befassen musste, bis ihm die entscheidende Idee kam. Teslas Idee kam nicht aus dem Nichts, sondern basierte auf Vorarbeiten von anderen Physikern und Ingenieuren.
Die anderen Erfinder
Zur gleichen Zeit befassten sich nämlich auch folgende Erfinder und Physiker mit den Mehrphasensystemen:
Eine schöne Zusammenfassung findet man auch hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Dreiphasenwechselstrom
Eine Chronologie ist hier zu finden: https://www.eti.kit.edu/1390.php
Galileo Ferraris
Zuerst machte Galileo Ferraris im Jahre 1885 erste Versuche mit rotierenden magnetischen Feldern und einem Kurzschlussläufer (Der englische Wikipedia Eintrag ist detaillierter als der Deutsche Eintrag). Das Ferraris-Prinzip ist uns ja noch heute aus den alten Stromzählern bekannt mit der Aluminiumscheibe. Er machte aber einen Gedankenfehler und dachte, dass der maximale Wirkungsgrad dieses Prinzips nicht höher als 50% sein kann. Erst 1888 erwähnt er diese Versuche in einer Veröffentlichung der Turiner Universität.
Wie man sieht, handelt es sich um eine Zweiphasensystem.
Charles Schenk Bradley
Charles Schenk Bradley entwickelte schon vor Ferraris einen Mehrphasenmotor. Er hatte bis 1883 bei Edison gearbeitet und eröffnete dann eine eigene Firma. Er erkannte aber die Bedeutung der Entwicklung nicht und liess das Prinzip erst 1887 patentieren. Das Patent
US390439A wurde am 2. Oktober 1888 erteilt . Am 20. August 1889 patentierte er eine echte Dreiphasenmaschine US409450.
Nikola Tesla
Nikola Tesla bekam am 1. Mai 1888 sein Patent US382280A für eine Zweiphasenmaschine.
Dieses Patent verkaufte er an George Westinghouse und baute für ihn das erste Drehstrom – Übertragungssystem und das Kraftwerk an den Niagara Falls. Die Diskussion um Wechselstrom oder Gleichstrom führte zum berühmtem Stromkrieg mit Thomas Edison. Diese Geschichte wurde schon mehrfach literarisch aufgearbeitet und verfilmt.
Jonas Wenström
Jonas Wenström veröffentlichte 1890 ein Patent für ein Dreiphasensystem. Die Firma war der Vorläufer von ASEA heute ABB. (Leider habe ich das Patent nicht gefunden auf https://worldwide.espacenet.com/)
Michael von Dolivo-Dobrowolsky
Michael von Dolivo-Dobrowolsky bekam am 26. Oktober 1889 sein Patent CH1532A, das den Kurzschlussläufer beschreibt. Etwas später beschrieb er dann das Dreiphasensystem im Patent CH3062A. Oder im Patent DE71137C angemeldet am 2. April 1890, wird der Nullleiter beschrieben. Leider sind die Britischen Patente nicht im Netz auffindbar.
Friedrich August Haselwander
Gleichzeitig war Friedrich August Haselwander in Offenburg daran, einen ersten echten Dreiphasengenerator und Motor zu bauen. Er reichte im Juli 1887 sein erstes Patent ein. Es ist leider nicht online zu finden.
Der Patentprüfer verstand das Prinzip nicht und erteilte kein Patent. Erst 1889 bekam Haselwander das Patent, obwohl Nikola Tesla ein paar Wochen früher war. Doch inzwischen war auch die AEG und andere auf das Patent aufmerksam geworden und erhoben Einsprache. Haselwander hatte kein Geld um die auf 30 Millionen Reichsmark geschätzte Streitsumme zu verteidigen. Er übergab das Patent seinem Arbeitgeber, der Firma Wilhelm Lahmeyer & Co., die 1892 von AEG übernommen wurde. Haselwander hatte Pech und sein Einfluss auf die Geschichte des Elektromotors wurde lange unterschätzt.
Wer hat nun den Drehstrom erfunden?
Wie man aus den Jahrzahlen der Patentanmeldungen und Erteilungen sieht, lag die Erfindung in der Luft, wie so manches Mal in der Technikgeschichte. Natürlich ist jedes Land stolz auf seine Erfinder und so wird je nach Perspektive der eine oder der andere als der eigentliche Erfinder bezeichnet.
Im Jahre 1959 versuchte der VDE (Verein deutscher Elektrotechniker die Sache ein für allemal zu klären. Es gelang der eingesetzten Kommission nicht.
Hier der Bericht des VDE:
„In den vorangehenden Abschnitten wurde gezeigt, wie weitgehend auf der einen Seite die physikalischen Grundlagen zur Schaffung eines Mehrphasenmotors geklärt waren und wie stark auf der anderen Seite der Bedarf und der Ruf nach einem brauchbaren Motor in Verbindung mit dem guten Übertragungssystem angewachsen war. In dieser Situation lag die Lösung des Problems fast in der Luft, und so ist es nicht verwunderlich, dass sich in vielen Köpfen fast gleichzeitig auf sehr ähnlichen Gedankenbahnen sehr ähnliche Lösungen formten. Die Weiterverarbeitung dieser gedanklichen Lösungen entrollt aber fast die ganze Skala menschlicher Eigenarten, technischer Fähigkeiten, wirtschaftlicher Möglichkeiten und merkwürdiger Zufälligkeiten, insbesondere beim Patent-Erteilungsverfahren.
Der eine hat die Lösung, mindestens im Prinzip, schon in der Hand, verschiebt ihre Veröffentlichung um kostbare drei Jahre und verkennt infolge eines Gedankenfehlers ihre Bedeutung (Ferraris); der andere ist mit der Materie genau vertraut, entwickelt Schritt für Schritt die Lösung in technisch brauchbarer Form, aber nur in Patentschriften, an eine Umsetzung in die Realität scheint er nicht zu denken (Bradley). Wieder einer kommt fast durch Zufall zu der richtigen Lösung, erkennt sie dank seiner technischen Begabung sofort, wendet sie in kleinem Maßstab für einen bescheidenen Sonderfall in erstaunlich kurzer Zeit in richtiger Weise an, hat aber nicht die Gabe und nicht den wirtschaftlichen Rückhalt, um seine Ideen zum Durchbruch zu bringen (Haselwander). Ein anderer erkämpft sich die Lösung in rastloser Gedankenarbeit, träumt von den phantastischen Aussichten, die sein Gedankenflug eröffnet, von der Fesselung der Kräfte der Niagara-Fälle und von anderem mehr, hat aber nicht die Fähigkeit, schnell zupackend eine technisch brauchbare Form zu finden oder Mitarbeiter für seine Ideen zu begeistern (Tesla). Einer wieder erkennt klar das Problem, findet technisch einwandfreie durchdachte Lösungen für das ganze Gebiet, erscheint aber mit seinen Lösungen ein bis zwei Jahre zu spät im Rennen (Wenström) Weiter kommt einer, der die Situation auf dem Gebiet der Energieversorgung genau kennt, der die Materie souverän beherrscht, der gewohnt ist, Schwierigkeiten bei der Entwicklung elektrischer Maschinen zu überwinden, der Mut mit Entschlusskraft verbindet und der das große Glück hat, mit einem weitschauenden Wirtschaftler zusammenarbeiten zu können (von Dolivo-Dobrowolsky). Schließlich ist noch einer zu nennen, der zwar nicht als Vorkämpfer für die Einführung des Drehstromsystems bezeichnet werden kann, der aber doch sehr wichtige Beiträge zum Gelingen des entscheidenden Großversuches der Kraftübertragung Laufen—Frankfurt beigesteuert hat, indem er die Hochspannungs- und Fernleitungsprobleme meisterte (Ch. E. L. Brown). Wie schwer ist es, bei diesem Hintergrund die Verdienste richtig zu verteilen!“
Zitat aus: Michael von Dolivo-Dobrowolsky und der Drehstrom, Gerhard Neidhöfer. 2. Auflage, VDE-Verlag, ISBN 978-3-8007-3115-2, Seite 82.
Woher kommen die zündenden Ideen?
Das führt mich zur Frage woher denn die zündenden Ideen in der Technikgeschichte kommen. Man hat das Bild des einsamen Erfinders vor Augen, dem beim Zähneputzen die geniale Idee kommt und damit reich wird. Walt Disney hat mit Daniel Düsentrieb und der kleinen Lampe die über dem Kopf aufleuchtet, ein schönes Bild gefunden. Das Titelbild zu diesem Blogeintrag stammt übrigens von DALL_E.
Ich habe versucht in der Literatur oder im Internet solche Erfindungen aus dem „Nichts“ zu finden. Es ist mir nicht gelungen. Deshalb habe ich mich gefragt, wie denn die zündenden Ideen zustande kommen. Hier meine Überlegungen:
Je nachdem, ob man in der Kunst, der Technik oder Wissenschaft neue Ideen hat, sind die Voraussetzungen etwas anders. Trotzdem sehe ich, dass folgende Prinzipien zum tragen kommen (Im Bild rechte Seite)
- Man kombiniert schon vorhandene Prinzipien und Elemente neu, oder setzt sie in einem anderen Umfeld ein. Das wird häufig bei Patenten angewandt.
- Man sucht gezielt nach Lösungen für ein Problem. Das war das Prinzip, wie der Wechselstrommotor erfunden wurde. In der Regel schwebt einem ein wünschbarer Zustand vor, eine Vision wie es wäre, ohne das aktuelle Problem
- In der Wissenschaft wird auch häufig das Prinzip des misslungenen Experiments gebraucht.
Dass eine zündende Idee aus dem Nichts kommt, scheint mir nicht wahrscheinlich. Offenbar funktioniert der menschliche Geist nicht so. Unser Gehirn ist gut darin, zu kombinieren. Das Thema wird unter dem Stichwort Kreativität schon seit längerem erforscht.
Je nach dem zu lösenden Problem braucht man andere Kreativitätstechniken um zu neuen Prinzipien und Lösungen zu kommen. Man braucht als Ingenieur und Erfinder verschiedene Fähigkeiten und persönliche Eigenschaften, die einem erlauben, neue Ideen zu entwickeln.
Aber auch das Umfeld, die materielle Situation und der Erfindungsprozess spielen eine Rolle.
Ich habe gesehen, dass das Stichwort „Kreativität“ ein so grosses Thema ist, dass ich einen separaten Blogbeitrag dazu verfassen werde, der das Thema im Hinblick auf den Ingenieurberuf etwas näher anschaut.
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