These: Früher waren Ingenieure eher Einzelkämpfer!
Anlässlich meiner Pensionierung habe ich die These aufgestellt, dass Ingenieure früher eher Einzelkämpfer waren. Heute finden die grossen Entwicklungen im Team statt. Nach einigem Nachdenken bin ich mir nicht mehr so sicher, ob diese These wirklich stimmt. Auf der Webseite ≡ Liste: 100 Deutsche Erfindungen + Beste Ideen & Erfinder (taschenhirn.de) findet man eine (nicht ganz vollständige) Liste von wichtigen Deutschen und internationalen Erfindungen.
Was auffällt, ist, dass in den Jahren 1900 bis 1920 von den 33 gelisteten Erfindungen, bis auf 4, immer ein eindeutiger Erfindername zugeordnet ist. Für die 4 anderen ist entweder eine Firma oder kein Name zugeordnet.
In den Jahren 1990 bis 2022 sind von den 16 gelisteten Erfindungen nur 3 einem eindeutigen Namen zugeordnet, alle anderen sind Organisationen und Firmen.
Diese nicht repräsentative Übersicht scheint die These der früheren Einzelkämpfer zu bestätigen.
Wenn ich aber an die zwei wohl berühmtesten Ingenieure und Erfinder denke, nämlich an Thomas Edison und Nikola Tesla, kommen mir doch Zweifel an der These. Thomas Edison hatte ja ein ganzes Labor mit Personal zur Verfügung, das ihm half, die Experimente zu machen. Und Nikola Tesla gelang es immer wieder andere Leute so zu beeindrucken, dass sie ihm halfen. Und ich kann mir vorstellen, dass es auch bei den anderen Erfindern so war. Meistens hatten sie ein ganzes Team im Rücken.
Und diese Erkenntnis wirft gleich zwei neue Fragen auf.
Warum verbinden wir in unserer Erinnerung Erfindungen und Entwicklungen lieber mit einem konkreten Namen?
Und was ist eigentlich das Berufsbild des Ingenieurs früher und heute?
Warum wollen wir einen Namen hinter einer Erfindung?
Ich sehe dafür 3 Gründe:
1. Akademische Welt
Aus der akademischen Welt kommt der Brauch, dass man Theorien nach dem Namen des Erfinders nennt, der zuerst diese Theorie postuliert hat. So kann man eine Theorie sofort einordnen, wenn man die Thesen des Erfinders kennt. Ein Beispiel: Am „Tech“ ,dem Zentralschweizerischen Technikum lernet ich die Theorie der Ersatzspannungsquelle kennen. Als das Technikum Horw dann in die Fachhochschule und Hochschule transformiert wurde, und die Dozenten von der ETH kamen, mussten wir diese Methode in Thévenin-Äquivalent umbenennen, nach dem Erfinder Léon Charles Thévenin (Siehe Thévenin-Theorem – Wikipedia). Beide Methoden haben ihre Vor- und Nachteile. Unter einer Ersatzspannungsquelle kann man sich auch anderes Vorstellen, z.B. einen Akku statt einer Batterie. Dafür benennt der Name gleich das richtige Modell. Beim Thévenin-Äquivalent ist gleich klar, was man darunter zu verstehen hat, aber man muss den Namen und die Theorie dahinter kennen.
2. Patente
Bei Patenten muss immer ein Erfinder angegeben sein. Erst in zweiter Priorität kommt dann die Firma als Anmelder. So hat sich auch eingebürgert, dass die Erfindung nach dem Erfinder benannt wird. Warum ordnet man heute wichtige Erfindungen eher der Firma zu? Der Grund dürfte sein, dass moderne Erfindungen sehr komplex sind und dass in den Patenten die eigentlich wichtige Erfindung hinter einem Schwall von Worten lieber zugedeckt wird. Die Firmen melden lieber ganze Patentfamilien an, so dass der Erfinder in der Patentschrift in den Hintergrund gerät.
Ausserdem haben sich wichtige Dinge wie das Internet oder Pinch to Zoom auf dem Handy, eher stufenweise entwickelt und so verbindet man sie weniger mit einem konkreten Namen.
3. Erzählungen und Namen
Der Mensch scheint einen Hang zu haben, abstrakte Dinge lieber mit einem Menschen und dessen Name zu verbinden. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Wissen und Erfahrung wurde früher als Erzählung und Märchen weitergegeben. Und in Erzählungen kommen fast immer Menschen vor.
Ausserdem macht sich in Schlagzeilen ein Name besser als irgendein abstrakter Begriff. Das betrifft nicht nur technische Dinge. Denken wir nur an die UBS. Es heisst ja nicht, „der Vorstand der UBS hat beschlossen“, sondern „Sergio Ermotti hat…“. Oder in der Politik werden Parteien eher mit deren Parteipräsidenten oder wichtigen Personen gleichgesetzt.
Personen lassen sich auch bejubeln und verehren. Dinge dagegen, wie zum Beispiel das CERN, eher nicht. Personen lassen sich aber in der Presse auch richtige böse fertigmachen. Beim CERN ist das auch schwieriger. Und das zeigt auch den Hang des Menschen, die einfachere Variante zu wählen, statt sich in komplexe Sachverhalte zu vertiefen. Ich war 10 jährig, als die Menschheit auf dem Mond landete. Eine ungeheure technische Meisterleistung der NASA und des ganzen riesigen Teams. Geblieben ist der Name von Neil Armstrong. Oder Bruno Stanek (Bruno Stanek – Wikipedia), der diese Fernsehsendungen zur Raumfahrt damals kommentierte. Ich habe ihn letzthin am Tag der Planetarien im Verkehrshaus gesehen. Er ist immer noch rüstig mit seinen 81 Jahren.
Was ist denn nun das Berufsbild des Ingenieurs früher und heute?
Mit der obigen Theorie und den möglichen Erklärungen lässt sich das Berufsbild des Ingenieurs immer noch nicht so richtig fassen. Wenn er kein Einzelkämpfer ist, sondern Teammitglied, woher kommen dann die zündenden Ideen? Dieser Frage möchte ich in einem separaten Blogbeitrag nachgehen.
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